Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Wasser: Menschenrecht und Gemeinschaftsgut

Foto: suburbanbloke. Bild steht unter einer CC-Lizenz.

24. Februar 2009
Von Ingrid Spiller
Von Ingrid Spiller

„Wasser ist das Blut der Erde“
Leonardo da Vinci

Wasser ist ein zentrales, unverzichtbares Element, sowohl für das menschliche Leben als auch für unsere Umwelt. Das soziale Recht auf Zugang zu Wasser kann nicht von der ökologischen Nachhaltigkeit beim Umgang mit diesem Gut getrennt werden. Die weltweite Problematik ist nur zu gut bekannt: Mehr als 18% der Weltbevölkerung verfügen über kein sauberes Trinkwasser und ca. 40% hat keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen, bis hin zum Tod. Am stärksten betroffen sind die verletzlichsten Bevölkerungsgruppen, allen voran die Kinder.

Die großen Probleme beim Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen haben weniger mit der Knappheit dieser Ressource in ariden oder semi-ariden Zonen zu tun. Sie resultieren vielmehr aus einer ganzen Reihe von Gründen, viele davon haben ihren Ursprung im Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

Mit der Festlegung der Milleniums-Entwicklungsziele im Jahr 2000 und dem Aktionsplan des Gipfels für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 wurden lang- und kurzfristige Ziele für eine Linderung der Wasserkrise gesetzt. Was jedoch fehlt, sind brauchbare Strategien, um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine internationale, bisweilen sehr kontroverse Debatte über den besten Weg, diese Ziele zu erreichen. Einerseits erklärten internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sowie zahlreiche Regierungen Wasser zu einer Handelsware, die einen Preis haben muss, damit ihr Wert respektiert wird, nicht zuletzt auch um die Gelder aufzutreiben, die benötigt werden, um Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Andererseits wurde das „Menschenrecht Wasser“ in den Mittelpunkt der Forderungen von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen gestellt.

Während immer häufiger private, oft internationale, Unternehmen die Wasserversorgung in vielen Städten der Welt übernahmen, entstanden gleichzeitig starke Bürgerbewegungen, die gegen die Privatisierung dieses Gemeingutes kämpfen. Berühmte Beispiele dafür sind Cochabamba und El Alto in Bolivien, Accra und Dar Es Salaam in Afrika und Manila in Asien. Der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war vermutlich das Weltwasserforum 2006 in Mexiko.

Zur aktuellen Situation

Heute, fast drei Jahre später, hat sich die Situation zwar verändert, wenn auch leider nicht zum besseren:

  • Eine Vielzahl von Erfahrungen in verschiedenen Teilen der Welt hat inzwischen zu der Erkenntnis geführt, dass die Privatisierung der Wassersysteme nicht der Königsweg ist, sondern im Gegenteil oft ernsthafte Umweltprobleme verursacht und soziale Unruhen hervorgerufen hat. Die Komplexität der Realität verlangt nach differenzierten und dem Problem besser angepassten Lösungen.
    Obwohl die Privatisierung der Wasserversorgung weiterhin eine wichtige Rolle spielt, hat sich der Kontext verändert. So bleibt beispielsweise die Nutzung des Wassers als Handelsgut weiterhin ein wichtiges Thema, allerdings nicht mehr nur für private, sondern inzwischen auch für öffentliche Unternehmen; auf diese Weise entsteht eine neue Variante der so umstrittenen Privatisierungsprozesse.
  • In Lateinamerika gab es in den letzten Jahren in zahlreichen Ländern Regierungswechsel. Ob es sich dabei um „linke Regierungen“ handelt, wie häufig beschrieben wird, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, da dies eine genauere Definition davon voraussetzen würde, was „links“ bedeutet. Gehört eine sozialdemokratische Rechte noch zur Linken? Und welche Bedeutung haben Demokratie, liberale und bürgerliche Rechte im Verständnis der Linken?
    Auf alle Fälle aber handelt es sich dabei um Regierungen, die für sich in Anspruch nehmen, eine Politik zu verfolgen, die sich mehr an den Interessen der Mehrheit der Menschen im Land als an denen des Kapitals orientiert.
    Eine der größten Herausforderungen in diesem Kontext ist deshalb die Neudefinition der Beziehung zwischen Regierung und Zivilgesellschaft, ein sehr aktuelles Thema, wie wir anhand einiger Länder sehen können.
  • Eine dritte wichtige Veränderung in diesem Zusammenhang sind die bedrohlichen Folgen des Klimawandels, dessen Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen heutzutage die internationale Debatte beherrschen. IPCC, das Klimagremium der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change), hat verkündet, dass in den nächsten Jahrzehnten die Probleme bei der Süßwasserversorgung mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen werden. Somit werden die Süßwasserressourcen in trockenen Regionen abnehmen und Überschwemmungen in feuchten Regionen zunehmen. Dies wird unter anderem eine neue geopolitische Verteilung der natürlichen Ressourcen nach sich ziehen.

In Folge dieser und vieler anderer Prognosen und Berichte wächst in der Öffentlichkeit langsam das Bewusstsein darüber, dass wir im Begriff sind, in den hydrologischen Kreislauf einzugreifen und unsere hydrologischen Ressourcen aktiv zu zerstören. Wir zerstören Grundwasservorkommen, die für das Überleben der Menschheit und des Planeten unentbehrlich sind. Wir verbrauchen unser Wasser im wahrsten Sinne des Wortes. Momentan nutzt der Mensch mehr als die Hälfte des verfügbaren Fließwassers. Damit bleibt wenig übrig für andere Lebewesen und die Natur. Wir haben immer geglaubt, dass das Wasser niemals zur Neige gehen würde und wir benutzen es immer noch, als sei es eine unendliche Ressource. Das ist ein gefährlicher Irrtum.

Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die gegenwärtige Zerstörung der hydrologischen Ressourcen das Ergebnis bewusster Entscheidungen und politischer Beschlüsse ist, die ein Lebensmodell auf der Grundlage einer unhaltbaren Ausbeutung der natürlichen Ressourcen befürworten.

Die systematische Zerstörung der Süßwasservorkommen auf unserem Planeten vollzieht sich auf verschiedene Weise:

  • durch den Abbau von Grundwasservorkommen mit Hilfe hoch entwickelter Technologien, die es ermöglichen, Süßwasservorkommen schneller abzupumpen, als sie sich regenerieren können, wodurch der Grundwasserspiegel nach und nach absinkt.
  • durch den Pipeline-Transport von Wasser in große Städte oder in abgelegene Regionen zur intensiven Bewässerung landwirtschaftlich genutzter Flächen. In Mexiko-Stadt z.B. wird das Trinkwasser der umliegenden Gegenden genutzt, wobei die die Stadt versorgenden Quellen übermäßig ausgebeutet werden.
  • durch die ökologischen Schulden, die etwa durch den virtuellen Handel mit Wasser entstehen; so wird eine große Menge Wasser in landwirtschaftliche und industrielle Erzeugnisse exportiert. Einige Beispiele: um ein Kilogramm Weizen zu erzeugen, benötigt man 1.300 Liter Wasser, für ein Kilogramm Rindfleisch werden 16.000 Liter Wasser benötigt und für ein Paar Jeans 10.850 Liter. Die ökologischen Schulden wachsen seit Inkrafttreten der Freihandelsabkommen unaufhaltsam und bedrohen die Wasserressourcen und damit letztlich auch das Menschenrecht auf Wasser.
  • durch die Ausbreitung der urbanen Hitze-Inseln, der Mega-Städte. Sie zerstören die Natur auf vielfältige Weise: durch Abfall, Kontamination, Vernichtung der natürlichen Oberfläche (Bäume, Wiesen etc.). Außerdem wird durch das Errichten von Häusern und Straßen die Möglichkeit des Zulaufs von Regenwasser in die Grundwasservorkommen eingeschränkt, wodurch der hydrologische Kreislauf und die Regulation des Mikroklimas’ durcheinander gebracht werden.
  • durch Klimawandel und Erderwärmung. Letztere fördert eine schnellere Verdampfung des Wassers auf der Erdoberfläche. Die Naturkatastrophen, die als eine der Auswirkungen des Klimawandels an Anzahl und Intensität zugenommen haben, greifen die Wasserressourcen oft schwerwiegend an.
  • durch die Verschmutzung und Zerstörung von Süßwasserquellen als Folge von unzureichender Abwasserentsorgung und mangelnden Hygiene-Maßnahmen.

Das Menschenrecht auf Wasser ist also nicht nur durch ungerechte und ungleiche Verteilung dieser kostbaren Ressource bedroht, häufig als Folge fehlender verfügbarer finanzieller Mitteln. Das Menschenrecht auf Wasser ist auch durch den Mangel an der Ressource „Wasser“ selbst bedroht.

Die gesetzliche Anerkennung des Rechts auf Wasser, bietet einen konzeptionellen Rahmen, der es erlaubt, nationale Regierungen und die internationale Gemeinschaft für die Sicherung der Wasserversorgung verantwortlich zu machen. Im März 2008 hat der UN-Menschenrechtsrat einstimmig eine Resolution zum Recht auf Zugang zu sicherem Trinkwasser und Sanitärversorgung verabschiedet.¹ Der Beschluss erhöht den Druck auf Staaten, diese Grundversorgung zu gewährleisten. Faktisch waren sie schon längst dazu verpflichtet, eine sichere Trinkwasser- und Abwasserversorgung sicherzustellen, da dieses Recht in mehreren internationalen Abkommen festgeschrieben wurde.²

Dies reicht jedoch nicht aus, um Wasser für zukünftige Generationen zu garantieren. Die Auffassung von Wasser als Menschenrecht, wie sie sich in der politischen Forderung „Wasser für alle“ vieler Bewegungen und AktivistInnen widerspiegelt, ist zwar eine notwendige, aber nicht unbedingt hinreichende Bedingung, um die Ressource zu schützen. Ein konzeptioneller Ansatz, der besser geeignet erscheint, die Komplexität des Themas - die Einbeziehung der Bedürfnisse sowohl des Menschen als auch der Natur – wiederzugeben, ist das Konzept der Commons (Gemeinschaftsgüter).³

Das Konzept der Commons

Die Commons können gemeinschaftliche und generationenübergreifende Güter sein, wie Artenvielfalt, Wasser, Atmosphäre, genetische Ressourcen, Boden, Saatgut, Wissen, Ideen, kulturelle Vielfalt usw. Wie man schon an diesen Beispielen erkennt, können die Commons natürlichen oder sozialen Ursprungs sein, greifbar oder immateriell, sehr voneinander unterschiedlich, aber mit der Gemeinsamkeit, kollektiv weiter vererbt zu werden. Sie sind unser gemeinsames Erbe, d. h. sie gehören uns allen, was nicht bedeutet, dass wir das Recht haben, mit ihnen zu tun, „wonach uns der Sinn steht“. Aus diesem Grunde haben wir in unserer Eigenschaft als „TeilhaberInnen“ die Pflicht, gegen ihre Ausbeutung, gegen die Verweigerung des Zugangs und gegen die Privatisierung ihres Abbaus vorzugehen.

Die Commons erhalten uns am Leben. Sie sind das Netz, das die produktiven, reproduktiven und kreativen Prozesse auf unserem Planeten stützt. Sie sind oder sie beschaffen uns die Mittel, uns zu ernähren, zu kommunizieren, uns zu bilden und uns fort zu bewegen, sie nehmen sogar die Rückstände unseres Konsums auf. Die Vielfältigkeit und Vitalität der Commons stellen den Schlüssel dar, den wir benötigen, um zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Veränderungen unserer Zeit entgegentreten zu können.

Nichtsdestotrotz sind die Commons – seien sie natürlichen oder sozialen Ursprungs - von Prozessen der Einhegung und der Privatisierung (auf politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher oder technischer Ebene) betroffen. Als Folge davon verlieren immer mehr Menschen ihre Existenzgrundlage.

Das Wasser ist ein gutes Beispiel für ein Common, das Prozesse von Einhegung und Privatisierung, Ausbeutung und Vergeudung durchlitten hat. Das Gemeinschaftsgut Wasser ist das Erbe der Menschheit und der Biosphäre. Wenn diese Ressource tatsächlich uns allen gehört, auch den zukünftigen Generationen, bedeutet dies, dass wir ihre Quellen nicht, wie oben beschrieben, rücksichtslos ausschöpfen dürfen. Wir alle, die auf diesem Planeten leben, haben das Wasser als Erbe zu erhalten; ein Erbe, das uns zwar gehört, das wir aber nicht besitzen, ein Erbe, das uns die Verpflichtung auferlegt, es für unsere Nachkommen zu erhalten.

Die große Herausforderung, vor der wir stehen, besteht deshalb darin, das Anrecht des Menschen auf einen angemessenen Zugang zu Wasser mit der Notwendigkeit zu vereinbaren, diese Ressource an sich zu schützen und zu verteidigen. Mit anderen Worten: die große Herausforderung besteht darin, eine demokratische und nachhaltige Wasserpolitik zu definieren.

Endnoten

1 Mit der Resolution wird ein neues, zunächst dreijähriges Mandat für einen Unabhängigen Experten/-in der VN geschaffen, der/die zur weiteren inhaltlichen Klärung der rechtlichen Verpflichtungen und zur Ausarbeitung von best practices im Bereich Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung beitragen soll.

2 Die Resolution des VN-Menschenrechtsrates bekräftigt folgende Abkommen, die Verpflichtungen in Bezug auf den Zugang zu sicherem Trinkwasser und Sanitärversorgung vorsehen: International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR), Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW) and the Convention on the Rights of the Child.

3 Die Stiftung hat 2008 hierzu ein Buch in spanischer Sprache veröffentlicht (Ediciones Böll No 24 Genes, bytes y emisiones: bienes comunes y ciudadanía, herunterzuladen von www.boell-latinoamerica.org), eine deutsche überarbeitete Fassung erscheint demnächst.

Dossier

Das 5. Weltwasserforum - Politik und Wasser in der Türkei

Vom 16. bis 22. März 2009 fand das 5. Weltwasserforum in Istanbul statt. Seine Legitimität wurde von Vielen in Frage gestellt, Gegenveranstaltungen fanden statt. In diesem Dossier finden Sie Wissenswertes zum Thema Wasser.